In meinem Leben gibt es viele Bildungslücken. Moby Dick, die Relativitätstheorie, ein zuverlässiges Rezept für Sauce Hollandaise, Cashflow 3 und 4, um nur einige zu nennen. Eine konnte ich dank der lockdownbedingten weihnachtlichen Einkehr nun schließen, denn ich habe „Der kleine Lord“ gesehen, a story about WOM, White Old Men! Ich habe verstanden, wir haben WOM nicht erfunden, es gab sie schon immer, zumindest seit es die sich gegenseitig verstärkende Kombination aus Akkumulation von Privateigentum und Macht gibt. Ich gestehe den Herren zu, sie haben echt was zu verlieren, und der Film zeigt, was sie zu gewinnen haben, nämlich Liebe, Ehrerbietung und Dankbarkeit. Schon dafür hat sich der Film gelohnt. Sehen wir einmal ab vom selbst dramaturgisch etwas fragwürdigen Intermezzo mit der Hochstaplerin, so bleibt eine schöne Geschichte über Liebe, Ehre und Nachfolge.

In meinem ersten Blog möchte ich mein Spezialgebiet, die Nachfolge, vernachlässigen und über Liebe und Ehre schreiben. „Da hast du Mr. Higgins aber im Handumdrehen glücklich gemacht, und ich lerne im Handumdrehen, wie ein Earl sein muss“, sagt der kleine Lord zum großen, seinem Großvater. Weise gesprochen, Kleiner! Du hast ihn mit Liebe und einer gehörigen Portion Zwecknaivität gezwungen, ein guter Chef und großartiges Vorbild zu sein. Und gleichzeitig hast du eine Norm gesetzt: ein guter Earl und weißer alter Mann nutzt seine Macht dazu, von ihm Abhängige zu unterstützen. Das nenne ich Ehre! Ist er anschließend noch ein weißer alter Mann? Nein! Ein weißer alter Mann zu sein ist ein Mindset, kein genetisches oder zeitabhängiges Phänomen. Es gibt auch 45-jährige oder weibliche WOM. Dem kleinen Lord ist es gelungen, aus einem alten weißen Mann einen großherzigen Menschen zu machen.

Was macht der kleine Lord, das wir nicht auch machen könnten, zumindest bis zum Beweis des Gegenteils? Im Coaching ist das eine grundsätzliche Frage – Angriff oder Zusammenarbeit? Könnten wir die Herzen der WOM erstürmen, sie weichspülen mit unserer Anerkennung ihrer Position, der Bestätigung ihrer Privilegien, die ja nicht selten hart verdient sind, sie bekehren und lehren, dass Liebe die stärkste Kraft ist? Und sie erst bekämpfen, wenn wir damit scheitern, weil sie die Zeichen der Zeit und der Liebe nicht verstehen? Dann wären alle froh, wie im Film, sogar die weißen alten Männer, die es wahrscheinlich schon lange nicht mehr waren.

Nun ja, ich gebe zu, eine Weihnachtsgeschichte. Dennoch, was würde der Kleine Lord zu Horst Seehofer sagen, wenn er hört, dass in griechischen Flüchtlingslagern Babys in nassen Zelten von Ratten gebissen werden, wie „Die Zeit“ titelte – und zwar egal, ob die Geschichte nun im Detail stimmt oder nicht? Solange es denkbar ist, dass so etwas geschieht, spielt keine Rolle, wie viele Babys von Ratten bei welcher Luftfeuchtigkeit in welchen Unterkünften gebissen werden. Und sollten wir nicht die „Kleine Lady“ Thunberg unterstützen mit all unserer Kraft, statt sie dem Hass alter weißer Männer in den Foren und Plattformen sogenannter „Social“ Media auszuliefern?


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